Freitag, 4. Januar 2008

Dritter Bericht aus der Neuen Welt

Ihr Lieben, liebe Freunde,


wir sind auf Feuerland in Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt! Feuerland besteht aus einer großen und vielen kleinen Inseln und ist durch die Magellanstraße vom südamerikanischen Festland getrennt; Ushuaia liegt im Süden der Isla Grande am Beagle Kanal. Wir blicken von unserem Campingplatz am Hang auf die Stadt hinunter, über den Kanal auf die letzten Ausläufer der schneebedeckten Anden. Hier wollen wir über Weihnachten bleiben und die letzten Wochen, die in jeder Hinsicht eindrucksvoll waren, verarbeiten.


Auf unserer Fahrt durch die patagonische Pampa besuchten wir einen „Bosque Petrificado“ (versteinerter Wald). Es ist in der absolut öden und kahlen Landschaft, in der nur kurzes bräunliches Gras die Hügel bedeckt und weit und breit kein Baum oder Strauch zu sehen ist, nur schwer vorstellbar, dass hier vor 150 Mill. Jahren dichter Wald mit bis zu 100m hohen und 1000 Jahre alten Araukarien gestanden haben soll. Doch die versteinerten Überreste dieser Baumriesen, die weit verstreut innerhalb des Naturdenkmals herumliegen, bezeugen, dass es im Jurazeitalter hier eine üppige Vegetation gegeben haben muss. Heute gibt es vor allem Staub, der bei dem ständig herrschenden starken Wind durch alle Ritzen ins Wohnmobil dringt.



Auch im weiteren Verlauf unserer Tour blieb die Vegetation zunächst mehr als spärlich. Um so mehr wunderten wir uns über die vielen Herden von Guanacos und Nandus, die wir immer wieder sahen. Das müssen sehr genügsame Tiere sein, ebenso wie die allgegenwärtigen Schafe.

An einem wunderschönen, ausnahmsweise mal windstillen Tag mit wolkenlos blauem Himmel durchquerten wir Patagonien auf einer 225 km langen Piste von Osten nach Westen, um nun endlich die Anden zu

sehen. Die eigenartigen weißen Gebilde tief am Horizont hielten wir zunächst für seltsam geformte Wolken, bis uns klar wurde, dass wir aus ca. 150 km Entfernung auf die schneebedeckten Gipfel des Nationalparks „Los Glaciares“ schauten! Je dichter wir kamen, umso deutlicher zeichneten sich die charakteristischen Silhouetten des Mount Fitzroy und des Cerro Torre ab.



Am türkisgrünen Gletschersee Lago Viedma entlang fuhren wir bis El Chalten, einem kleinen Dorf in einem langgestreckten, grünen Tal, das für die nächsten 5 Tage Ausgangspunkt verschiedener Wandertouren wurde.



Bei herrlichem Wetter ( wir hatten großes Glück) wanderten wir über blühende Gebirgswiesen und durch grüne Lenga Wälder (die frischen leuchtenden Farben taten unseren Augen nach dem vielen Graubraun der Pampa richtig gut) bis zu eiskalten Gletscherseen und klaren Gebirgsbächen, aus denen man sogar trinken kann, immer mit Blick auf die eindrucksvollen Gipfel und Gletscher.


Wanderung zum Fitzroy


Wanderung zum Cerro Torre



Den ca. 100 km entfernten südlichen Teil des Parkes erkundeten wir von dem Städtchen El Calafate aus. In diesem Teil gibt es zwar nicht so markante Berge und man kann auch keine großen Wanderungen machen, dafür sind hier die spektakulärsten Gletscher zu sehen.


Gletschersee am Cerro Torre



Der wohl berühmteste ist der Perito Moreno, einer der wenigen Gletscher, der immer noch wächst. Die Spitze der Gletscherzunge hat sich bis auf die gegenüberliegende Seite des Gletschersees geschoben, wodurch ein Arm dieses Sees abgetrennt und ohne Abfluss ist, jedenfalls so lange, bis das Wasser einen Tunnel in die Eisbarriere gewaschen hat und die so entstehende Eisbrücke mit gewaltigem Getöse einbricht und das Wasser wieder abfließen kann (zuletzt im März 2004 passiert).Doch nach und nach schiebt sich der Gletscher wieder vor und das Schauspiel beginnt von vorne. Auf langen abwärts führenden Treppen kann man zu Aussichtsplattformen hinuntersteigen und kommt so ziemlich dicht an die in verschiedenen Blautönen leuchtende Gletscherkante heran. Immer wieder kracht es und kleine Eisbrocken brechen aus der Wand heraus und stürzen ins Wasser. Große Brocken haben wir zwar nicht abbrechen sehen, aber das muss auch gelegentlich geschehen, wie die im Wasser treibenden Eisberge beweisen.


Gletscher Perito Moreno


Weitere Gletscher bewunderten wir auf einer 8 stündigen Bootstour über verschiedene Arme des riesigen Gletschersees Lago Argentino, unter anderen den Upsala Gletscher, mit über 4 km breiter Gletscherzunge einer der größten, und den Spegazzini Gletscher, der besonders hoch und zerklüftet ist. Faszinierend war aber vor allem die große Menge von riesigen Eisbergen auf dem See, durch die sich unser Boot hindurchschlängelte. Wir staunten nicht nur über die bizarren Formen, sondern auch über die unterschiedlichen Farben – weiß, hell- bis dunkelblau, sogar erdschwarz – und Oberflächen – eisglatt, körnig rau, schwammartig durchlöchert.


Blick über den Lago Argentino



Eisberge auf dem Lago Argentino


Gletscher Spegazzini


Noch mehr Berge, Gletscher und Seen erwarteten uns anschließend im chilenischen Naturpark „Torres del Paine“ (Türme des Paine), ein Gebirgsmassiv, aus dessen Mitte sich drei steile, turmartige Berge erheben.


Blick über den Lago Azul auf die Torres del Paine




Abendstimmung


Blick auf das Paine Massiv




Außer der faszinierenden Landschaft konnten wir auf unseren Wanderungen und Fahrten durch diesen

Park aber auch eine reiche Fauna und Flora bewundern: sehr viele und sehr große Herden von Guanacos, Kondore im Aufwind an den Berghängen und vor allem Wiesen, die übersät waren mit unendlich vielen Blumen in allen Farben und Formen. Auch hier besuchten wir wieder einen Gletschersee, den Lago Grey und

bewunderten die wunderschönen blauen Eisberge.



Eisberge auf dem Lago Grey



Gauchos bei der Arbeit




Am Aussichtspunkt


Ich hatte ja schon von dem für Patagonien so typischen ständig wehenden kräftigen Wind berichtet. Doch der ist nur ein laues Lüftchen gegen den orkanartigen, eisigen Wind, der von den Gletschern her weht. Ohne Fleecepullis, Skijacken, Mützen und Handschuhen hätten wir uns ihm nicht aussetzen mögen. Gegen diesen Wind zu laufen erfordert Kraft und Ausdauer, hat man ihn dann aber im Rücken, joggt man mit Leichtigkeit auch bergauf.





Dann hieß es: Auf nach Feuerland. An der schmalsten Stelle der Magellan Straße, wo eine Fähre die Autos nach Feuerland transportiert, setzten wir über. Tierra del Fuego, wie es auf Spanisch heißt, ist für sein raues und unberechenbares Klima berüchtigt, uns empfing es jedoch mit seinem freundlichsten Gesicht: Sonne, blauer Himmel, fast windstill, warm. Ein paar ruhige Tage verbrachten wir in fast menschenleerer Gegend am Ende der Welt, bevor wir wieder zurück in den argentinischen Teil Feuerlands wollten.


Morgenstimmung am See - Windstille




Ruhiges Plätzchen am Ende der Welt



Bei der Grenzziehung zwischen Chile und Argentinien waren ein paar geographische Experten am Werk: In den argentinischen Teil Feuerlands gelangt man auf dem Landweg nur durch Chile, dafür kann man den Süden Chiles zu Land nur durch Argentinien erreichen. Schlau!!


Chilenischer Grenzposten



Grenzübergang nach Argentinien


Für uns gestaltete sich die Grenzüberquerung zu einem Abenteuer der besonderen Art. Es gibt auf Feuerland zwei Grenzübergänge: einen größeren, den alle benutzen und einen winzigen, wo nur einmal am Tag ein Geländewagen herfährt, dafür aber in reizvoller Lage, und den wollten wir benutzen.. Es gäbe da einen kleinen Fluss zu überqueren, hieß es, aber mit einem Vierradantrieb sei das „no problema“. Den hat unser Wagen ja, also nichts wie hin. Den chilenischen Grenzposten hatten wir schon passiert, nun nur noch schnell über den Fluss und schon wären wir wieder in Argentinien. Doch unser Wohnmobil hatte andere Pläne. Nach über 6000 km ohne Panne beschloss es mitten im Fluss, nun erst mal eine Ruhepause einzulegen.



Das Wasser war zwar nicht sehr tief (60 – 70 cm) und der Fluss auch nicht sehr breit (20 – 25 m), der Untergrund bestand jedoch aus einer lockeren Kieselschicht und je mehr Werner versuchte, den Wagen wieder flott zu kriegen, um so mehr wühlten wir uns in den Kies, so tief, dass schließlich Differenzial und sogar die Vorderachse auflagen. Ich lief zum argentinischen Grenzposten und bat um Hilfe. In der Zwischenzeit hatten sich etliche Leute am Ufer eingefunden, die, da es Sonntag war, aus dem 80 km entfernten Rio Grande hierher gekommen waren, um einen gemütliche Grillnachmittag mit der Familie zu verbringen. Zunächst beobachteten sie Werner und einen jungen Grenzsoldaten, die bis über die Knie im Wasser standen und versuchten, den Wagen frei zu schaufeln, dann holten sie zwei ihrer Autos, um uns damit rauszuziehen - – keine Chance! –


Erster Versuch...


Zweiter Versuch. Ebenfalls erfolglos.



Und das Heck sackte immer tiefer. Also wurde ein Abschleppwagen aus Rio Grande über Funk benachrichtigt. Es würde ca. 2 Stunden dauern, bis er da sei. Die Argentinier luden uns derweil zu ihrem Asado ein. Vor lauter Nervosität hatten wir gar keinen Appetit, doch die Leute waren so nett und freundlich, dass wir nicht ablehnen mochten. Es gelang ihnen tatsächlich, uns abzulenken. Wir bekamen zu essen und zu trinken – ich steuerte von meinen selbst gebackenen Weihnachtsplätzchen bei (die ich aus dem Fluss holen musste!), und wir erfuhren einiges über sie und ihr Leben auf Feuerland und sie fragten uns über das Leben in Deutschland aus.



Beim Asado


Dann tauchte eine zweite Gruppe von Leuten auf, ein Richter und sein Sohn mit einigen Freunden, die zum Angeln gewesen waren und nun ebenfalls grillten.


Der Fang...


Auch dort sollten wir wieder mitessen – wir konnten aber nicht mehr – und wurden über unsere Reise befragt. Bei ihnen war auch der Chef des Grenzpostens, der wie auch der Richter dem Alkohol offenbar schon recht gut zugesprochen hatte.


Der Richter und der Zollchef


Alle hatten viel Spaß und amüsierten sich prächtig. Nur wir wurden langsam wieder nervös, weil der Abschleppwagen nicht kam. Stattdessen tauchten die chilenischen Grenzer mit einem Toyota Land Cruiser auf. Mit dem wollten sie uns rausziehen, aber rückwärts. Also Werner und der argentinische Grenzsoldat – die nassen Sachen wieder angezogen – sowie der Richter und der Chef des Grenzpostens wieder in den Fluss, Abschleppseil befestigen und Achse frei graben. Doch auch die Chilenen schafften es nicht, das Wohnmobil rauszuziehen. Endlich nach 4,5 Stunden kam der Abschleppwagen. Der Einsatz der Seilwinde bewegte das Wohnmobil um keinen Zentimeter. Zweimal riss das Stahlseil, als der 7,5 Tonner uns mit Motorkraft rausziehen wollte. Dabei nutzte er einen alten Autoreifen als Dämpfer und versuchte mit „Anlauf“ und einem Wahnsinnsruck uns rauszuziehen – langsam anfahren konnte er auf dem weichen Untergrund nicht. Erst der Einsatz unseres Abschleppgurtes führte beim fünften Versuch endlich zum Erfolg. Nach knapp acht Stunden im Wasser waren wir wieder auf dem Trockenen. Ich glaube, der Stein, der mir vom Herzen fiel, hätte ein mittleres Erdbeben verursachen können.


Die Chilenen versuchen ihr Glück



Der Abschleppwagen


Gott sei Dank funktionierte noch alles am Wagen, durch einige Stauklappen war zwar Wasser eingedrungen, was aber keinen Schaden verursachte und am nächsten Tag schnell wieder trocknete. Nur die daumendicke Verschraubung des Schäkels am Abschleppseil war so verbogen, dass sie mit der Flex durchge

schnitten werden musste. Nach erfolgreichem Abschluss der Aktion gingen der Richter und seine Freunde zur Biberjagd und Werner mochte die Einladung mitzukommen nicht ablehnen.


Der zweite Fang


So verbrachten wir schließlich die Nacht in der Ruhe und Abgeschiedenheit des chilenisch – argentinischen Grenzübergangs Rio Bella Vista.


Beim Trocknen


Und nun sind wir also hier in Ushuaia und bereiten uns auf Weihnachten vor. Ich hab heute Plätzchen gebacken, unser „Wohnzimmer“ ein wenig geschmückt und eine CD mit Weihnachtsmusik eingelegt. Auch viele argentinische Familien schmücken ihre Häuser mit Tannenbäumen und Lichtern. Da es hier keine Nadelbäume gibt, verwendet man eben Plastiktannen, die mit bunten blinkenden Lichterketten und Plastikgirlanden geschmückt sind. Richtige Weihnachtsstimmung kommt aber kaum auf. Nicht die Tage, sondern die Nächte sind hier sehr kurz – es ist bis 23 Uhr hell, so dass die Weihnachtsbeleuchtung kaum zur Geltung kommt. Manchmal regnet es, dann ist es wenigstens ein bisschen wie zuhause.


Wir bedanken uns bei allen, die uns schon Weihnachtsgrüße und –karten geschickt haben und wünschen Euch frohe und gemütliche Weihnachtstage und alles Gute für das Jahr 2008.


Werner und Maite