Sonntag, 18. Mai 2008

6. Bericht aus der Neuen Welt

Ihr Lieben, liebe Freunde,

wir genießen z.Zt. einen mehrtägigen Zwangsaufenthalt in Salta, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Nordwesten Argentiniens.
Die Plaza in Salta
Es sind wieder mal die Reifen, die uns Probleme bereiten. Schon in Chile war es schwierig, Ersatzreifen in der richtigen Größe und Tragkraft zu bekommen. Schließlich konnte man uns – siehe 5. Bericht – zwei neue besorgen, obwohl wir drei gebraucht hätten. Nun ist uns hier in Salta – in der Stadt, nicht etwa auf der Piste – wieder einer kaputt gegangen und in ganz Argentinien gibt es keinen passenden Reifen, nicht mal in Buenos Aires. Beim Wechsel auf die 16 er Felge hatte der Ingenieur Werner auf Nachfrage versichert, die Reifen gäbe es überall auf der Welt. Offensichtlich liegt Südamerika auf einem anderen Planeten. Uns bleibt jetzt nichts anderes übrig als einen komplett neuen Reifensatz in einer geringfügig größeren, dafür aber gängigen Größe zu kaufen. Da wir hinten Zwillingsreifen haben, brauchen wir einschließlich 2 Ersatzreifen insgesamt 8 Stück.
So ein längerer, wenn auch ungeplanter Aufenthalt hat aber auch sein Gutes. Die vielen Eindrücke und Erlebnisse der vergangenen Wochen können sich so ein wenig setzen. Wenn man durch ständig wechselnde und immer spektakuläre Landschaften fährt, ist man irgendwann so „satt“, dass man eine kleine Pause zum „Verdauen“ gut gebrauchen kann. Und wir haben wieder reichlich zu verdauen:
Nach den Seen und Vulkanen in Chile wollten wir auch einen Teil der Küste kennen lernen. Als wir im Städtchen Constitucion einen Platz für ein paar Tage gefunden hatten, versorgte uns die örtliche Touristinfo erst mal mit Broschüren, die uns vor möglichen Tsunamis warnten und das richtige Verhalten bei Erdbeben beschrieben! Ich wusste gar nicht, dass Chile so ein gefährliches Land ist: Es drohen nicht nur Vulkanausbrüche, sondern auch Erdbeben und Monsterwellen. Gut, dass wir keine ängstlichen Gemüter sind. Von all dem blieben wir zwar verschont, doch sehr starker Wellengang und gefährliche Strömungen hinderten uns daran, im Meer zu baden. Stattdessen machten wir Strandspaziergänge und bewunderten die im Meer stehenden Felsen, die uns an die 12 Apostel in Südaustralien erinnerten





Obwohl wir ja die großen Städte nicht so lieben, wollten wir uns Santiago de Chile doch ansehen. Der nächstgelegene Campingplatz ist ca. 40 km entfernt, von dort fuhren wir mit Bus und Metro ins Zentrum der Hauptstadt. Wie fast alle südamerikanischen Städte hat auch Santiago das typische kolonialzeitliche Zentrum mit einer zentralen Plaza, von der rechtwinklig angelegte Straßen ausgehen, die ein regelmäßiges Schachbrettmuster von Quadras (Häuserblocks) formen. Wegbeschreibungen und Entfernungen werden in Quadras angegeben. Jede Quadra ist im Idealfall hundert Meter lang und wird, wie wir feststellen mussten, auch als Entfernungsmaßstab genutzt. Im Naturpark Ischigualasto (s. u.) forderte uns z. B. der Führer auf, zur nächsten Felsformation 5 Quadras zu laufen. Wir schauten uns verblüfft an, weite und breit gabs keine Straßen und keine Häuserblocks. Was er meinte ,war, wir müssten ca. 500 m laufen.
Auf der Plaza, die wie ein kleiner Park gestaltet ist, gibt es Grünflächen, Bäume, Wege und Bänke und in größeren Städten oft Brunnen und Standbilder nationaler oder lokaler Helden. Die in kolonialen Zeiten wichtigsten Gebäude einer Stadt wie Kathedrale, Gouverneurspalast und Stadtverwaltung liegen ebenfalls meistens an der Plaza. Es ist ein Ort der Ruhe und Muße mitten im hektischen Treiben. In Santiago z. B. unterhielt ein Spaßmacher eine Menschenmenge, Schachspieler saßen unter einem Pavillon vor ihren Brettern, Eisverkäufer priesen ihre Erfrischungen an, viele Leute saßen einfach entspannt auf den Bänken und genossen das schöne Wetter.






In den Fußgängerzonen stießen wir immer wieder auf junge Leute beiderlei Geschlechts, barfuß mit farbverschmierten Gesichtern, Haaren und Kleidern, die sich überdies mit einem übel nach Fisch stinkenden Zeug eingeschmiert hatten und die Passanten anbettelten. Sie hatten offensichtlich viel Spaß dabei und wir erkundigten uns nach dem Sinn und Zweck dieses Tuns. Sie seien Studenten, und es sei ein alter Brauch, zu Beginn des Semesters Geld zu erbetteln; einige sagten für eine Semesteranfangsfete, andere behaupteten, um davon Bücher zu kaufen. Na ja! Warum sie dabei zerlumpt, barfuß, dreckig und stinkend herumlaufen mussten, konnten wir nicht in Erfahrung bringen, vermutlich sollte das ihre „Armut“ demonstrieren. Ich hatte den Eindruck, dass ihnen der Spaß bei der Sache das Wichtigste war.


Natürlich mussten wir uns auch die „Moneda“, den Regierungspalast anschauen. Wenn man kurz vorher noch einmal „Das Geisterhaus“ gelesen hat, sieht man einen solchen Ort mit speziellem Interesse, wurde doch dort 1973 Salvador Allende beim Militärputsch erschossen.



Die Andenüberquerung nördlich von Santiago nach Mendoza in Argentinien war die bisher spektakulärste für uns. Kurz vor der Passhöhe auf ca. 3000 m verläuft die Straße in extrem engen und steilen Serpentinen, die eigentliche Grenze liegt mitten in einem 4 km langen Tunnel.




Am Wechsel der Beleuchtung im Tunnel merkt man, dass man in Argentinien angekommen ist: Auf chilenischer Seite leuchten 2 Reihen von Lampen rechts und links der Fahrbahn, in Argentinien leuchtet nur eine Mittelreihe an der Decke .Kurz hinter der Grenze liegt der Aconcagua, mit 6959 m der höchste Gipfel Südamerikas, sowie weitere 5- und 6- Tausender.




Die Abfahrt entlang des Rio Mendoza bietet atemberaubende Ausblocke auf Schneegipfel, vielfarbige Berghänge, tief eingeschnittene Täler und die alte Eisenbahnlinie, die als erste Argentinien mit Chile verband und deren malerisch in der Landschaft stehenden Brücken man von der Straße aus noch sehen kann.







In Mendoza, einer Stadt, deren Straßen durchgehend von dichten Platanen überwölbt sind – für Wohnmobile von 3,30 m Höhe nicht immer problemlos zu befahren – steht in einem riesigen Park ein pompöses Denkmal für den Nationalhelden General San Martin, der 1817 an gleicher Stelle wie wir die Anden überquerte, allerdings mit einem 10000 Mann starken Heer, Pferden, Ochsenkarren usw., um zusammen mit einem chilenischen Heer beide Länder von den Spaniern zu befreien. Sie brauchten nicht wie wir einige Stunden, sondern mehrere Wochen, hatten aber auch nicht so eine schöne Asphaltstraße zur Verfügung, sondern mussten sich ihren Weg selbst durch die Wildnis bahnen.





Mendoza ist die Weingegend Argentiniens, so sahen wir jetzt häufig Weinfelder und, da gerade Lese ist, viele bis obenhin mit Trauben beladene Laster. Das Wetter wurde immer wärmer, leider auch nachts, so dass wir nicht mehr so gut schliefen.
Die Semana Santa, die Osterwoche etwa von Gründonnerstag bis Ostermontag, nutzen viele Argentinier für einen Kurzurlaub in touristisch interessanten Gebieten. Wir wollten diese Zeit in einem wie wir glaubten abgelegenen kleinen Ort nördlich von San Juan verbringen, um einfach in Ruhe zu relaxen und erst nach dem Feiertagsrummel die Naturparks Ischigualasto und Talampaya zu besuchen. Als wir ankamen, war noch nicht viel los, doch dann rückte uns die einheimische Bevölkerung mit ihren Zelten und Autos immer dichter auf die Pelle. Privatsphäre ist ein Fremdwort hier. Am schlimmsten fanden wir aber ihre Vorliebe für laute Musik: Die Autotüren werden aufgerissen und das Autoradio auf volle Pulle gestellt. Von rechts hört man Popmusik, von links Folklore und von 20 m weiter weg Rock. Und dann das abendliche Grillen! Zu einer Zeit, wenn unsereiner langsam müde wird und schlafen möchte – so gegen 23 Uhr – fangen die Argentinier gerade mal an, das Feuer anzuschüren.. Bis die Glut dann so weit ist, dass das Fleisch aufgelegt werden kann und bis die verschieden Fleischsorten gar sind, dauert es ein paar Stündchen. Währenddessen unterhält man sich angeregt, lacht, stößt an und ist fröhlich, während wir „armen“ europäischen Touristen uns schlaflos im Bett wälzen und verzweifelt darauf warten, dass der Spuk endlich vorüber ist. Etwas besser wurde es für uns ab Karsamstag. Heftige Regenfälle und Gewitter schränkten die Freiluftaktivitäten der Leute erheblich ein, gleichzeitig brachten sie Abkühlung von der schwülen Hitze und wir konnten wieder schlafen.
Nach den Feiertagen standen die beiden Nationalparks Ischigualasto und Talampaya auf unserem Programm. Beide Parks sind vor allem von geologischem Interesse, liegen hier doch Gesteinsschichten aus Trias, Jura und Kreidezeit an der Erdoberfläche. In Ischigualasto, einem breiten Tal, wurden zudem die ältesten Saurierskelette der Welt gefunden und in Talampaya, einer engen Schlucht mit 150 m hohen Wänden, Felsritzungen präkolumbischer Indios. Darüber hinaus staunt man einfach nur über die Vielfalt an Farben und Formen der Felsen. Etliche wurden mit fantasievollen Namen versehen wie Sphinx, Bocciafeld, U-Boot oder Mönch, Turm und Kathedrale.




Im Park Ischigualasto


Die Sphinx


Der Turm

In der Talampaya Schlucht




Die Kathedrale


Der Mönch


Der Nordwesten Argentiniens gehört zu den ärmsten Gegenden des Landes. Ein wenig Wein- und Tabakanbau, einige Olivenplantagen und Zuckerrohrfelder, ansonsten viel karges, unfruchtbares Land und dennoch ist die Landschaft von besonderem Reiz. Immer wieder überqueren wir hier Gebirgszüge mitten durch die Wolken, die die Gipfel verhüllen, fahren durch breite Flusstäler und enge Schluchten und häufig tauchen jetzt die riesigen Kandelaber Kakteen auf.








Wir sahen Zeugnisse alter Indiokulturen, außer den schon erwähnten Petroglyphen z. B. auch die Ruinen von Quilmes, Überreste einer alte Indiofestung. Das Volk der Quilmes konnte sich hier lange gegen die Spanier behaupten, bis die letzten Familien schließlich doch gezwungen wurden, den über 1000 km langen Fußmarsch nach Buenos Aires anzutreten, den nur wenige überlebten. Noch heute heißt ein Vorort von Buenos Aires Qilmes ebenso wie das bekannteste, sehr leckere Bier des Landes. In dem kleinen Ort Amaicha del Valle besuchten wir das ganz außergewöhnliche „Museo Pachamama“, das der einheimische Künstler mit indigenen Vorfahren Hector Cruz geschaffen hat. Den Kult der Pachamama, der Mutter Erde, wie auch andere Mythen aus der Vorstellungswelt der Indios hat der Künstler in moderne Ausdrucksformen umgesetzt und in vielfarbigem Naturstein gestaltet. Außer weiteren Kunstgegenständen wie Teppichen, Gemälden, Keramiken und Skulpturen gibt es auch Informationen zur Geologie der Gegend sowie zur Lebensweise der frühen Indios. Dieser großzügig angelegte noch recht neue Museumskomplex hat uns tief beeindruckt.








Der schon erwähnte Armut des Landstrichs schrieben wir zunächst die Tatsache zu, dass die Regale in den Supermärkten immer größere Lücken aufwiesen, dass Milch, Öl, Zucker und Reis rationiert wurden und dass es überhaupt kein Fleisch mehr zu kaufen gab. Irgendwann erfuhren wir, dass im ganzen Land die Bauern streikten aus Protest gegen die drastische Erhöhung der Exportsteuern. Durch Straßenblockaden hinderten sie die LKWs daran, Lebensmittel zu transportieren und wollten so die Regierung zwingen, die Steuererhöhung zurückzunehmen. Tatsächlich gerieten wir kurz darauf in eine solche Blockade, durften aber ungehindert passieren. Inzwischen sollen sich Bauern und Regierung geeinigt haben, aber die Versorgung läuft nur langsam wieder an. Doch mach Euch um uns keine Sorgen, wir haben nicht gehungert, nur ein paar vegetarische Tage eingelegt. Heute hat es erstmals wieder Fleisch gegeben.
Nach erfolgter Reifenmontage wollen wir noch ein paar Tage die Gegend um Salta erkunden, bevor es dann über den Paso de Jama wieder nach Chile geht. Dabei werden wir Höhen bis zu 4600 m erreichen und haben schon vorsorglich Cocablätter gekauft. Ein daraus zubereiteter Tee soll gut gegen Höhenkrankheit sein.
Wie wir in Euren Emails gelesen haben hat sich der Winter in Deutschland in diesem Jahr ja so richtig ausgetobt. Wir wünschen Euch deshalb jetzt endlich schöne Frühlingstage und vielleicht wird es ja ein toller Sommer.
In Erwartung vieler vieler Berichte aus der Heimat (auch die lieben Verwandten könnten ja mal schreiben) grüßen Euch

Werner und Maite

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